Kaorle Figur

Baustelle als Diskursraum

Sarah Klimbacher und Timo Bogataj · 2024-11-15
Titelbild für Baustelle als Diskursraum

Zwischen Mörtelsäcken, unserer “kleinen Elektriker-Lehre“ und dem Brechmeißel, schmieden wir unsere kollektive Identität. Frühjahr 2020, Kollektiv Kaorle beginnt mit einer Baustelle im klassischen Sinn und entwickelt sich zu einem Ort, an dem wir nicht nur Mauern durchbrechen, sondern unsere Vision von Gemeinschaft und Partizipation verhandeln. Wir sind ein unabhängiger und gemeinnütziger Verein, der einen gemeinschaftlich verwalteten und genutzten Raum für Austausch und dezentrale Kultur bespielt. Baustellen werden im städtischen Raum oft als notwendiges Übel wahrgenommen. Doch sie bieten uns weit mehr: In öffentlichen Räumen, Grätzl- und Nachbarschaftsinitiativen haben sie das Potenzial, zu Plattformen des Austauschs und der Beteiligung zu werden. Als Kollektiv begreifen wir heute Baustellen in unserem Wirkungskreis als einen Experimentierraum, der über die Errichtung von materiellen Strukturen hinausgeht.

Das Bauen als kollaborative, emanzipatorische Praxis öffnet uns einen Handlungsraum für zivilgesellschaftliche Mitgestaltung. Dieser Handlungsraum ist nicht der am Ende materiell fassbare Raum, es ist der dynamische Raum eines zeitlich begrenzten Entstehungsprozesses: Ein kollektiver Lernraum der sich der Methoden des live-Experiments und des Learning-by-doing-Prinzips bedient. Dieser Ansatz ermächtigt Menschen, indem sie Verantwortung für den Entstehungsprozess mit-übernehmen und damit neue Bezüge zu ihrer Umwelt schaffen.

In unserer Arbeit sehen wir uns jedoch häufig mit festen, oft unsichtbaren Barrieren konfrontiert. Wie arbeiten wir für einen nachhaltigen und gerechten Wandel innerhalb dieser verfestigten Strukturen, sei es in Bezug auf physische, gesellschaftliche oder historische Gegebenheiten? Es geht darum, in den Rissen dieser Strukturen, Möglichkeiten für zukunftsfähige Städte und ihre Lebensgemeinschaften zu testen und sich immer wieder zu fragen, wie wir in Zukunft leben wollen. Das Konzept der Instandhaltung spielt dabei eine zentrale Rolle in unserer Arbeit. Dabei geht es um mehr als die Pflege von gebautem Raum - Instandhaltung ist eine Form der Fürsorge, Sorge für die gebaute und gelebte Umwelt, die kontinuierliche und oft unbemerkte auch strukturelle Arbeit erfordert. Doch gerade diese Arbeit trägt dazu bei, dass Transformation nicht nur geschaffen, sondern auch langfristig aufrechterhalten werden kann.

In Bezug auf Stadtteilarbeit bedeutet das: Wir verhandeln demokratische Strukturen, indem wir kollektive Räume des Lernens, der Fürsorge und Partizipation aufmachen, die auf lokaler Ebene Veränderungen anstoßen können. Deshalb öffnen wir unsere Baustellen zu temporären Diskursräumen: Es geht nicht nur um das, was gebaut wird, sondern um das, wie es gebaut wird – kollaborativ, partizipativ und mit einem Bewusstsein für die sozialen und politischen Implikationen unseres Tuns. So kann ein Diskursraum entstehen, der den Weg zu einer inklusiveren und gerechteren Stadt weist.

Geschrieben von Sarah Klimbacher und Timo Bogataj (Kollektiv Kaorle) erschienen in Architektur Aktuell 11/2024 Politik | participation and architecture⁠