Kaorle Figur

Warum ich so froh bin, dem Kollektiv Kaorle in Zeiten wie diesen gratulieren zu können

Robindro von Gierke · 2025-03-05
Titelbild für Warum ich so froh bin, dem Kollektiv Kaorle in Zeiten wie diesen gratulieren zu können

Zum fünfjährigen Geburtstag des Kollektiv Kaorle darf ein langjähriger Freund und Begleiter seinen Frust über die aktuelle allgemeine politische Lage, seine humanistische Überzeugung und seine Freude über die erfolgreiche Kollektivarbeit darlegen.

Ein Wienbesuch in stürmischen Zeiten

Als ich neulich die Eltern eines alten Freundes in Baden besuchte, stand es gerade einmal wieder mieser mit der Politik. Zwar war das humorlos-deprimierende Szenario eines Kanzler Kickls passé, doch in meiner Heimatstadt München war gerade eine Mutter und ihr Kind durch einen in eine Gewerkschaftsdemonstration fahrenden Attentäter getötet worden und im Oval Office befanden sich nun nicht nur einer, sondern mindestens zwei Verrückte. Dieser hochgebildete Urösterreicher forderte mich heraus, ich solle sagen, wo ich denn politisch stehe. Voreilig bezeichnete ich mich schlicht als einen Linken, was mich zu einem gefunden Fressen an diesem köstlich gedeckten Tisch machte. Auch wenn diese Familie Angehörige in deutschen Konzentrationslagern verlor, der Gastgeber sich im Laufe des Nachmittags ohnehin als ideologischer Kommunist outete und schlicht einem halbwegs jungen Privilegierten den Kopf waschen wollte, blieb mir doch Eines schmerzhaft im Kopf stecken: Wenn sogar eingefleischte Demokraten mit viel Lebenserfahrung und goldenem Herzen sich fragen, ob diese Herrschaftsform in einer global ökonomisierten Welt beständig sein kann, muss ich mich dann wirklich an eine Oligarchie der Reichen und Hässlichen gewöhnen? Daran, dass es irgendwann keine Steuern mehr gibt und dass die bloße Vorstellung absurd ist, dass Bürger*innen, die zu Wohlstand kommen, ernsthaft ihren Reichtum zum Wohle aller teilen wollen? Und dann auch noch daran, dass ich so viele meiner geliebten Mitmenschen, die nicht den weißen, neoliberal-nationalidentitären Idealen entsprechen, verlieren werde?

Betrübt fuhr ich nach Wien zurück und hatte das große Glück bei einem deutschen Freund mit Wurzeln in Palästina und dem Irak einen weiteren Gastgeber zu haben, der ebenfalls sehr gebildet ist, mich dafür aber nicht so anschreit, sondern mich im wohlinformierten Sarkasmus baden lässt. Gemeinsam konnten wir – nach einer bitter durchlachten Analyse der Absurdität einer Weltpolitik im 4Chan-Gewand – feststellen, dass wir es trotzdem so gut hier haben. Dass ich die Angst, die vielen Farben in meinem Leben zu verlieren, nur spüre, weil sehr viel sehr gut laufen kann in dieser Herrschaftsform, unserer so heftig unter Beschuss stehenden Demokratie. Ich glaube fest daran, dass sie die minderheitenschützendste Art der Machtverteilung ist, über die wir verfügen, und dass sie jeden Keim in sich trägt, der mehr Schönheit, Inklusion und Gerechtigkeit sprießen lassen kann. Ich bin so froh, all die wunderbaren Menschen zu kennen, die sich nicht unterkriegen lassen, in ihrem Wunsch liebevoll zu sein und so Wunderbares zu schaffen wie das Kollektiv Kaorle – gerade im Chaos der letzten Zeit.

Über die Schwierigkeit verängstigten Radikalisierten Respekt zu zollen

Während des Tumults der letzten Monate und Jahre, bei all den Angriffen auf demokratische Ordnungen, der Verachtung der Rechtsextremen und Kurzsichtigen für komplizierte Lösungen und empathisches Diskursverhalten, lag mir ein Grundtenor oft im Ohr: Es sei moralisch richtig sei, die Hand an Leute auszustrecken, denen nicht viel daran liegt, meine Sicht auf die Welt, meinen Freund:innenkreis, oder meinen Wunsch nach einer etwas weniger ungleichen Verteilung von Gütern und Ressourcen zu respektieren. Und während ich fest daran glaube, dass ihr alle meine Mitbürger*innen seid und der Respekt voreinander die einzige Bedingung ist, die wir benötigen, um uns an einen Tisch zu hocken, muss ich doch feststellen, dass dieser Respekt von großen Teilen der Bevölkerung nicht mehr gezollt wird. Der Großteil sind keine Mitbürger*innen, die verstehen, warum ich mich freue, dass sich in den letzten Jahrzehnten Netzwerke von Menschen aus verschiedensten Erdteilen, mit unterschiedlichen Glaubensvorstellungen und mannigfaltigen Visionen für ein ökonomisches und ökologisches Miteinander bilden und sich so viele davon in Europa versammeln konnten. Leider sind diese Armen und Abgehängten, diese windig-weichen Wappler*innen zutiefst verstörte und fanatisierte Menschen, deren Existenzängste erst ignoriert und dann instrumentalisiert wurden. Die dann meinen Freund*innen, die nach Deutschland flüchteten oder freiwillig kamen, Ausgrenzung und Hass entgegenschleudern. Allein in den letzten drei Monaten haben mir drei Freund*innen aus Sudan, Syrien und Senegal von sich aus erzählt, wie sie unter der immer ekelhafteren und bissigeren Rhetorik im alltäglichen Nachrichtenstrom leiden; so sehr leiden und verschreckt werden, dass viele wieder weg aus unserem schönen Bayern wollen.

Es gibt diese traurigen Kreaturen eben, die sehr viele Menschen zutiefst hassen, obwohl sie diese nicht einmal gesehen oder gehört, geschweige denn kennengelernt haben. Und mit einer derart infantil-ideologisierten Gefühlswelt kann es keine Demokratie geben, die sich selbst zu schützen vermag. So kann ein Land kein Ort sein, an dem ein faires, kreatives und zärtliches Miteinander gedeihen kann. Um unseren kleinen wie großen Nationalstaaten die Chance zu geben, Solidarität, Verteilungsgerechtigkeit, Geschlechtergleichheit und ökologische Vernunft lauter erklingen zu lassen, haben mich stets nur inklusive Gruppierungen und Rhetoriken überzeugen können.

Die kleinen Orte mit großer Wirkung

Diese kleinen, offenen Orte, an denen möglichst viele Gehör finden und sich eben nicht ignoriert fühlen, sind in meinen Augen so etwas wie die Antikörper einer funktionalen Demokratie. Sie vermeiden das Heranzüchten bereitwillig Beherrschter. Ob es nun in der letzten Zeit Grassroots-Bewegungen sind wie die People’s Platform Europe, die kürzlich in Wien tagte, antifaschistische Aktionen zur Unterstützung von SeaWatch, Inklusionsmaßnahmen wie die solidbase von MenschMenschMensch, großartige Festivals wie die blechsonne, all die inoffiziellen Raves (Grüße!) oder Kollektive, die Orte schaffen, die als Vorbedingung eines liebevollen und demokratischen Miteinanders fungieren: es geht nur von klein nach groß und von unten nach oben, mit unendlich viel Zeit, der Akzeptanz von Imperfektionen und dem klaren Blick in die Augen deiner Mitstreiter*innen. Was dabei rauskommen kann, sind so feste, empathische und stabile Strukturen, dass all die vermeintlichen Unterschiede und Diskriminierungsmöglichkeiten gar keinen Sinn mehr ergeben. Ich will atheistisch feste daran glauben, dass die Nutzung der demokratischen Instrumente, die uns zur Verfügung stehen, ganz von selbst nach einer gleicheren und weniger diskriminierenden Welt streben können.

Das Gegenteil von diesen Vorbildern sind strenge Hierarchien in Unternehmen und politischen Gruppierungen, wo man von oben nach unten tritt, herabschaut und die Perfektion einer Idee verfolgt. Hier erkennt man leicht die eingebauten Gefahren, die man als Mitläufer*innen und Follower akzeptieren muss, um Teil der penetranten Peer-Group zu bleiben. Nicht nur ist man viel abhängiger von wenigen, die immer mehr und länger Verantwortung tragen, nicht nur versammelt man sich immer rasanter und bereitwilliger hinter ausgrenzenden Ideologien, die immer engstirniger werden, nicht nur ist man immer fehleranfälliger für Angriffe auf unser Miteinander von Kräften, die keinen Bock auf langsame und robuste, minderheitenschützende Prozesse haben. Nein, und hier werde ich als Hedonist persönlich: Man muss der Gefahr ins Auge blicken, in die langweiligste, trübste und verzweifelste aller Welten zu gelangen.

Schaut man sich entstehende und forcierte Autokratien an, so sieht man immer erst die Gleichschaltung, dann die Hierarchisierung, dann die Uniformen und dann den Hass auf alles ein wenig andere; man ist ja schließlich nicht mehr gewohnt, dass jemand auch etwas Abweichendes vom eigenen braunen Süpple im Hirn denken könnte. Wie will man denn da jemals wieder rauskommen? Und wie kann man sich hier irgendeinen Fortschritt im Leben miteinander vorstellen? All die Unterdrücker und Faschos sind im Grunde nichts anderes als mittelalterliche Individualmonarchist*innen, die sich einfach nicht damit auseinandersetzen wollen, dass unsere sich technologisch rasant entwickelnde Welt das gesellschaftliche Miteinander noch konfuser, aber eben auch noch gerechter gestalten kann. Die wollen einfach stehen bleiben, weil man es ihnen so sagt, mit einem klaren Wertekanon, der so brutal und ausgrenzend ist, dass man die Welt ganz simpel als richtig und als falsch mit Oben und Unten sehen kann. Und nach ein paar Generationen inzestuösen Verhaltens blickt man dann in irreparabel hässliche Gesichter. Natürlich wird auch das als vermeintlich gut und sinnvoll dargestellt, Nazis reden eben viel über Gleichheit und Gerechtigkeit. Aber nur für diejenigen, die das Haupt vor der Herrschaft beugen, nur für diejenigen, die überhaupt erst mitmachen wollen und diejenigen, die sich gerne unterordnen. Der Kern des demokratischen Gedankens, die Souveränität des Volkes, ist hier nicht mehr. Deshalb ist es nicht zu akzeptieren, wenn rechte Parteien und ihre Mitglieder so tun, als wäre es der Wille des Volkes, dass Menschen abgeschoben werden, andere Nationen ausgebeutet und aus dem Ruder laufende Einkommensverteilungen hinzunehmen. Deshalb setze ich mich auch nicht mehr an irgendwelche Tische und versuche Brücken zu Leuten zu schlagen, denen ihre eigene Souveränität nichts bedeutet.

Über das Mischen vieler Farben, ohne das braun dabei rauskommt

Wenn es wirklich Schritt für Schritt ins Paradies gehen soll, dann muss genau andersrum gedacht werden. Es müssen viel mehr Leute in unsere demokratischen Prozesse eingebunden werden; Staatsbürger*innenschaften müssen rascher erteilt und Arbeitserlaubnisse gewährt werden. Es müssen mehr Steuern erhoben und durchgesetzt werden und größere Töpfe an kleinere Gruppen verteilt werden. Demokratische Macht muss stärker gestreut und nicht gebündelt werden. Dann bekommen wir schon wieder ein Sediment, aus dem Humanist*innen sprießen können.

Denn dass das funktioniert, durfte ich als beobachtender Begleiter von engagierter Arbeit in Kollektiven miterleben. Wenn ich darüber nachdenke, wie skeptisch ich zu Beginn dem Kollektiv Kaorle gegenüberstand, was denn da meine Freundinnen und Freunde so veranstalten – Ist das bloße Beschäftigungstherapie? Kriegen die das echt diverser hin? Werden wir nie mehr gescheit feiern, wird nur noch in Werkstätten und Workshops gelacht? –, so hat über die Jahre (und fünf sind es mittlerweile, herzlichen Glückwunsch!) die Schönheit des gerechten Miteinanders einem Klugscheißer wie mir gehörig die Arroganz weggebrutzelt. Eure Angebote sind vielfältiger geworden, die Kollektivarbeit inklusiver, die Mitglieder unterschiedlicher und der Hedonismus stetig bunter, befreiter und bissi bombastischer. Und wenn ich die familiäre Freude und den stillen Stolz von euch miterlebe, dann bewundere ich die endlosen Gespräche auf Augenhöhe, die langfristigen Planungen und den Umgang mit ungeplanten Überraschungen und euer Üben in Toleranz und Anerkennung für all die verschiedenen Charaktere, die bei euch aufeinandertreffen. Hier gibt es sie im Kleinen: die Souveränität einer Gruppe, die eine wilde Bandbreite an Lebensvorstellungen so mischt, dass sie bunt bleibt und nicht braun wird. Und wenn ihr alle dann früher oder später den einen oder anderen Weg geht, dann könnt ihr diese Einstellung anderen Menschen gegenüber weitergeben und von anderen weiter erlernen. Irgendwann werden aus Freund*innen Banden, aus Banden Kollektive und aus Kollektiven der Nährboden für humanistischen Hedonismus. Und ihr wisst ja, meiner Meinung nach ist das die aufregendste Ideologie. In diesem Sinne: meine Hochachtung & Rave on!