Kaorle Figur

Kaorle endet nicht in Ottakring

Interview von Laura May mit Agnes Tatzber
Laura May · 2024-12-01
Titelbild für Kaorle endet nicht in Ottakring

Warum braucht es Kaorle?

Als Möglichkeitserweiterung für so viele Menschen wie möglich, um der Polarisierung entgegenzuwirken und den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Wir kreuzen Kompetenzen. Niemand von uns hätte alleine Zugang zu einer Holzwerkstatt, einem Schweißgerät oder Veranstaltungstechnik in dem Ausmaß. Es geht darum, Ressourcen zu teilen. Manchmal auch darum, Konflikte auszutragen.

In Räumen, die von der Stadt quasi vergessen wurden und sowieso leer stehen?

In das Thema Zwischennutzung sind wir eher so reingerutscht. Das war nicht unser Plan. Ich glaube, wäre unser Vertrag in der Schmalzhofgasse verlängert worden, hätten wir das damals sofort gemacht. Man wird schnell häuslich an so einem Ort, richtet sich die Räume wie man sie braucht und kann sich dann gar nicht so leicht vorstellen, woanders hinzugehen. Der Gedanke, weiterziehen zu müssen, ist aber auch spannend. Als dynamisches System wachsen, verändern und entwickeln wir uns weiter.

Heute seid ihr so etwas wie ein nomadisches Kollektiv, dem es eben nicht darum geht, einen Ort für die Ewigkeit zu schaffen. Umbau ist Normalzustand. Veränderung und Bewegung sind zum Selbstzweck geworden. Für viele ist schwer zu verstehen, wie ihr immer wieder Energie dafür findet.

Ich habe schon ur oft die Frage gestellt bekommen, ob Kaorle vorbei ist, wenn wir hier ausziehen müssen. Aber Kaorle endet nicht in Ottakring. Ein Umzug bedeutet vielleicht auch, Mitglieder zu verlieren, das war auch beim Umzug aus der Schmalzhofgasse so. Da haben wir sogar drei Leute aus dem Kernteam verloren, weil die neuen Räumlichkeiten nicht gepasst haben. Das kann erstmal weh tun, ist aber auch eine natürliche, fluide Entwicklung. Es wird viel diskutiert, manchmal auch emotional, weil uns das Projekt sehr am Herzen liegt. Aber es gibt auch eine Selbstverständlichkeit und Reflexion, die ich anderswo selten erlebe. Veränderungen werden mit Begeisterung angegangen, auch wenn sie viel Flexibilität verlangen. Trotz der vielen Bewegung tragen einige Mitglieder das mit einer beeindruckenden Tiefe mit. Dass der Raum, den wir nutzen, nicht nur Freizeit bedeutet, bringt auch Druck mit sich, weil einfach auch Forderungen und Notwendigkeiten da sind. Kaorle treibt an – das kann manchmal ganz schön intensiv sein.

Sam schaut aus dem Office Fenster

Kaorle als Kollektiv beherbergt Kunstateliers, ein Musikstudio, Keramik- und Töpferwerkstatt, Bar, Veranstaltungsraum, Coworking. Da müsst ihr schon auf ganz schön viele Bedürfnisse achten.

Es sind ultra viele Komponenten, die diesen Ort ermöglichen und manchmal Einzelpersonen wie Max, der mit seinem Input die Werkstatt auf ein ganz neues Level hebt. Manchmal braucht es echt langwierige Gespräche, um sicherzugehen, dass niemand überrumpelt wird. Das gehört wohl dazu. Ich finde das positiv.

Wann müsst ihr in Ottakring ausziehen und wohin geht es als nächstes?

Das ist sehr stark abhängig vom Planungs- und Genehmigungsfortschritt der Liegenschaft. Es besteht die Bereitschaft der Eigentümer, unseren Unterleihvertrag noch bis Sommer 2025 zu verlängern. Im Gespräch sind unterschiedliche Orte. Eine große Halle oder ein Pavillon am Otto-Wagner-Areal als Zwischennutzungen oder das Anmieten einer Liegenschaft. Alle Optionen haben ihre Vor- und Nachteile. Eine Halle ist natürlich ganz anders zu beplanen als ein Gebäude mit einer bestehenden kleinteiligen Raumstruktur. Nachteil bei einer großen Halle ist, dass wir einen viel größeren baulichen Aufwand haben, um z.B. Staub und Sound isolierte Nutzungen wie ein Tonstudio wieder gut unterzubringen. Im Otto-Wagner-Areal wäre eher die Veranstaltungssituation und abgeschiedene Lage ein Problem. Dafür könne man im Winter heizen. Das ist immer so ein Riesenthema, dass wir schwer warme Räume im Winter zusammen bekommen. Ein wichtiger Faktor ist für uns die Laufzeit der nächsten Nutzung. Ein längeres Entwicklungsprojekt bietet natürlich ganz andere Chancen und Sinnhaftigkeiten, was Ressourceneinsatz und wirksame Stadtarbeit angeht. Ankommen und sich vor Ort kennenlernen braucht eine gewisse "soziale Zeit”. Es wäre aber noch mal ein Schritt hin zum Größerwerden und irgendwie auch zu einer Art von Institutionalisierung, finde ich. Ich persönlich habe uns immer eher als bunte, urbane Oase gesehen.

Begehung am Otto Wagner Areal

Bei euren Ortswechseln geht es nicht nur darum, Mitglieder zu bewegen. Auch Teile der Einrichtung und der Kaorle-Infrastruktur sind mobil?

Wir nehmen eigentlich immer Installationen und Bauteile mit. Das Parklet, das wir in der Schmalzhofgasse am Parkplatz vor dem Gassenlokal hatten, wird auch hier im Lido als Raumtrenner weiter genutzt. Die Bar ist aus einem alten Elektro-Kachelofen, den wir in einem Abrissgebäude abgebaut haben. Die einzelnen Fliesen wurden auf Platten montiert und so zur Barverkleidung, die wieder komplett in ihre Einzelteile zerlegbar ist. Im Grunde genommen haben wir die ganze Elektrik in Ottakring flexibel verlegt, weil von Anfang an klar war, dass es nur anderthalb Jahre bleibt und alles, was man hier reinbaut, abgerissen wird. Schon auch ein bisschen absurd, diese Art von Nutzung. Es gibt eine Initiative, die wir mit Freunden vom Klub Ensemble ins Leben gerufen haben “MA70%” - das spielt auf die Smart City Wien Rahmenstrategie an, welche sich zum Ziel setzt, bis 2040 70% der Bauteile aus dem Abriss wiederzuverwenden. In der Gruppe werden niederschwellig Materialien vermittelt. Eine anderer Ansatz, der sich eher theoretisch mit dem Klima und der Energieabhängigkeit von Raum befasst, ist der Lesekreis “Sunset in Solarium", in dem wir all diese doch so sensiblen Ökosysteme diskutieren und reflektieren. Architektur ist nutzlos, wenn kein Gebrauch von ihr gemacht wird und ich denke, wir versuchen unsere Infrastruktur dem anzunähern.

Die Realität der Zwischennutzung zwingt euch quasi zur Flexibilität. Das hat auch positive Seiten?

Dinge zu verändern, und fluide zu betrachten ist interessant und bildet auch die Realität ab. Die Bauphasen am Anfang, wenn man irgendwo einzieht, sind extrem intensive Wochen, wo wirklich viele Leute aus dem Freundeskreis kommen und helfen. Und somit richtig viel Energie da ist. Es ist auch immer wieder ermüdend, weil du denkst, du wirst nie fertig. Und dann kommen aber wieder irgendwelche Leute und es wird wieder. Diese Bauphasen sind ein hochintensiver Prozess, wirbeln einmal durch und sind, um zu mobilisieren, richtig wichtig für Kaorle.

Wie viele Baustellen und Umzüge hält Kaorle aus?

Anderthalb Jahre Zwischennutzung sind natürlich absurd kurz. Also, dass du ein halbes Jahr alles herrichtest und dann nur ein Jahr Kulturbetrieb machst, bevor wieder ein Umzug ansteht. Aber ich finde, das ist auch das spannende Momentum. Auch wenn es schon schön wäre, wenn die nächste Zwischennutzung mal einen Fünf-Jahres-Vertrag oder so bekommt. Derzeit verstehen wir Kaorle so dass beide Phasen stark zu uns gehören. Ich weiß nicht, ich rutsche da immer ab in dieses: Für mich ist Baustelle auch Kulturprogramm und Diskurs. Und bei uns ist immer Baustelle - und wir halten schon Bewegung aus. Beim Paradiesl haben wir bereits versucht, dass Kulturprogramm einfach auch auf der Baustelle stattfindet.

Wie meinst du auf der Baustelle?

Hier gibt es zwei Ebenen. Zum einen, dass Kulturprogramm auf entstehenden Strukturen stattfindet und diese schon im Prozess aktiviert: Der Construction Chors hat eine Probe auf der Baustelle durchgeführt an einem Tag, wo auch gebaut wurde. Wir haben sozusagen versucht, Parallelen zu finden: Wir bauen etwas Physisches auf, und die bauen ihre Stimme auf. Es gab auch einen Flinta-Call für Performance auf der Baustelle. Zum Anderen verstehen wir die Baustelle selbst als Diskursraum. Wir schaffen den Rahmen um voneinander zu lernen, um neue Bekanntschaften zu knüpfen, in Kontakt zu treten und eine starke Gemeinschaft aufzubauen.

Das Office mulitfunktional als Backstage benutzt

Was ist der größte Unterschied zwischen Kaorle im 6. und Kaorle im 16. Bezirk?

Das alte Kaorle war parallel zur Mariahilfer Straße in einen Bobo-Bezirk eingebettet. Für unsere Freunde war es niederschwelliger mal zufällig vorbeizuradeln. Jetzt sind wir am Ende der U3-Linie in Ottakring – das haben wir beim Wechsel stark gemerkt. Das einfach so vorbei radeln passiert weniger.

Das hatte auch einen Einfluss auf Kaorles Charakter. Es gab mehr Ausstellungen und weniger Konzerte als heute in Ottakring.

Ja, viel mehr Ausstellungen. Das hat auch damit zu tun, dass wir in einem Wohnhaus waren und nicht laut und spät veranstalten konnten. Auch der Raum im 6. war ursprünglich als Bewegungsraum gedacht. Das hat nicht gut geklappt. Die Grundstruktur der Räume definiert die Nutzung mit.

In Ottakring sind Werkstatt und Veranstaltungsraum ins Zentrum gerückt.

Ich habe mir niemals vorgestellt Konzertveranstaltungen in der Frequenz mit so vielen Menschen zu machen. Das hatten wir in der Schmalzhofgasse nicht. Es ist aber immer ein Ausdiskutieren und es kommt auf die Personen an. In der Gruppe gab es bereits Feedback und Kritik, dass der Raum heute so gar nicht mehr für Ausstellungen geeignet ist, weil alles mit Technik voll hängt. Wir haben aber auch alle einfach sehr viel zu tun - da ist es immer leicht die "Schuld", wenn etwas nicht passiert, auf andere zu schieben.

Der Raum prägt also die Nutzung, und die Menschen prägen die Raum?

Die Mitglieder, die in der Schmalzhofgasse neu dazu kamen, waren meinem Gefühl nach noch viel stärker persönlich motiviert, einen echt neuen Raum zu kreieren. Jetzt kommen viele einfach, um die vorhandene Infrastruktur zu nutzen, zum Beispiel um zu töpfern und sich am Vereinsleben, den Putz-Diensten und Veranstaltungen zu beteiligen, ignorieren auch mache.

Je weiter ihr an den Stadtrand zieht, desto kleiner wird die Wahrscheinlichkeit, dass Leute zufällig nach Kaorle kommen.

Menschen sind überall. In den Schmalzhofgasse war es toll, dass sich der Raum durch unser Parklet nach außen geöffnet hat. Wir sind da immer draußen gesessen und Leute sind vorbeigegangen und haben gefragt, ob das ein Kaffeehaus ist. Und wir haben gesagt, nein, aber kommt rein, wenn ihr etwas trinken wollt. Hier in Ottakring ist die Schwelle ein bisschen höher, aber es ist mir hier auch schon öfter passiert, dass Leute einfach reinkommen, weil sie interessiert sind, wenn man Türen und Tore offen hat.

Kompetenezen kreuzen live

Kaorle ist trotz Endstation recht gut angebunden.

Was hier in Ottakring halt super ist, ist die Lage dieses Grundstücks. Die ist eigentlich extrem toll, weil du hast eine U-Bahn, du hast eine S-Bahn und du hast mehrere Straßenbahnen, direkt ins Zentrum.

Also, in einer halben Stunde bin ich von fast überall in Wien in Kaorle.

Es ist Kopfsache in Wien. In Berlin würde mir das überhaupt nicht komisch vorkommen.

Welchen Einfluss haben die politischen Strukturen der Bezirke auf eure Arbeit?

Unsere Jahresförderung kommt von der MA 7 – Kulturabteilung der Stadt Wien. Aber es ist immer cool, mit den Bezirksvorsteher:innen zusammenzuarbeiten. Wir hatten in jedem Bezirk, in dem wir bisher tätig waren, Kontakt zu den Bezirksvorstehungen. Die wissen genau, was in dem Bezirk passiert, was gerade Sache ist und wo man gut andocken kann.

Ihr legt viel Wert auf Design. Woher kommt die Kaorle-Ästhetik?

Das ist interessant. Die Dinge, die wir bauen, haben schon einen gewissen Stil. Ich sage mal so: Es gibt zirka fünf Leute im Kaorle-Team, die eine extrem starke Meinung dazu haben, wie Dinge aussehen sollen und die sich da ziemlich reinflashen. Manchmal führen wir stundenlange Farbdiskussionen.

Was ist ein Argument gegen eine Farbe? Abgesehen von: gefällt mir nicht.

Im Grunde bringt schon jeder einfach seinen persönlichen Geschmack mit. Es gibt Personen hier, die gestalterische Ausbildungen absolviert haben und dementsprechend starke Meinungen haben - mich nicht ausgenommen. Aber es gibt auch technische Argumente. Etwa, dass der Veranstaltungsraum hinter der Bühne schwarz sein muss, sonst kann der Lichttechniker nicht optimal arbeiten.

Max lackiert am Lido Pipes für das neue Lichtsetup im Veranstaltungsraum