Da kann man* auch Praktikum machen?

Nach dem Abschluss meiner Bachelorarbeit in Architektur entschied ich mich dazu, noch ein Erasmuspraktikum innerhalb des Studienzeitraums zu machen. Eine befreundete Urbanistikstudentin in Weimar (liebe Grüße an Christina) hat mir dafür das Kollektiv Kaorle in Wien empfohlen, bei dem sie selbst zwei Jahre vorher Praktikum gemacht hat und total begeistert war. Das Kollektiv Kaorle ist ein multidisziplinärer Verein, der sich mit kultureller und handwerklicher Produktion sowie der gemeinschaftlichen Aktivierung des öffentlichen Raums beschäftigt.
Der Bewerbungsprozess war relativ unkompliziert: Nach einer kurzen Email mit angehängtem Portfolio habe ich zwei Wochen später einen Anruf von Timo erhalten, bei dem wir ein bisschen über die Praktikumsmodalitäten gequatscht haben. Im August habe ich dann mal bei Kaorle zum Kennenlernen vorbeigeschaut, da ich im Sommer eh in Wien war. Los ging das Praktikum dann im November.
Meine Entscheidung für ein Praktikum bei einem Kulturverein statt in einem klassischen Architekturbüro kam vor allem daher, dass ich Dinge in einem niederschwelligeren Kontext direkt ausprobieren wollte. Im Rahmen von stadtplanerischen oder auch umfassenderen Wohnbauprojekten im Studium werden häufig Räume zur offenen kulturellen Bespielung, Werkstätten oder Gemeinschaftsräume eingeplant, ohne wirklich intensiver darüber nachzudenken, wie diese funktionieren. Dafür bleibt meistens schlicht keine Zeit im stressigen Semester. Bei der Arbeit im Kollektiv konnte ich nun viel darüber lernen, wie solche Räume für Kultur, Bildung und Engagement - frei von Konsumzwang - tatsächlich funktionieren, wie sie Kreativität und ein kollektives Bewusstsein in der Nachbarschaft fördern und als Testfeld für eine demokratischere Nutzung von Raum dienen können.
Während eines Großteils meines Praktikumszeitraums befand sich das Kollektiv gerade in einer Umstrukturierungsphase: Der Mietvertrag in der aktuellen Zwischennutzung läuft in einem halben Jahr aus, es geht darum, potenzielle neue Orte für ein Weiterleben des Kollektivs zu finden. Gleichzeitig wird viel darüber nachgedacht, wie sich der Verein organisiert: Wie werden hauptverantwortliche Rollen verteilt? Wie können sich Mitglieder besser einbringen, Aufgaben abnehmen oder einfach die Räumlichkeiten selbstständiger nutzen? Ein wichtiges Thema war auch immer wieder das Geld. Projekte wie Kaorle sind zum einen abhängig von Förderungen, um am Leben zu bleiben, andererseits oft von wahnsinnig viel ehrenamtlicher Arbeit des Kernteams. Ein langfristiges Ziel dabei ist es, Arbeit, die in den Vereinsbetrieb fließt, zu entlohnen. Für mich war es ziemlich spannend, diese oft nicht öffentlich sichtbaren Strukturierungsprozesse mitzubekommen.
Meine Aufgaben waren ziemlich abwechslungsreich. Ich habe unter anderem an Förderanträgen mitgearbeitet oder Beiträge für die Öffentlichkeitsarbeit erstellt, wofür ich etwas mehr zur Geschichte des Kollektivs und der aktuellen Räumlichkeiten recherchiert habe. Daneben gab es aber auch ganz praktische Aufgaben, wie etwa das gemütlich- und wintertauglich-Machen der Räumlichkeiten (ongoing process), der Bau eines Werkzeug-Organisationssystems in der Werkstatt oder das Ergänzen eines Metallbogens im Alsergarten, einem gemeinschaftlichen Gartenprojekt am Donaukanal, bei dessen Bau das Kollektiv Kaorle maßgeblich beteiligt war.
Nach der Winterpause standen dann außerdem wieder mehr öffentliche Veranstaltungen bei Kaorle an, und ich habe dafür zum Beispiel bei der Gestaltung von Postern oder anderen Ankündigungen, sowie bei Aufbau und Durchführung von Konzerten oder Kinoabenden unterstützt.
Darüber hinaus übernimmt das Kollektiv die Planung einer Bühne für das blechsonne-Festival, das im Sommer in Mecklenburg-Vorpommern stattfinden wird. Dafür bin ich sowohl in Gestaltungs- als auch Organisationsteam involviert, was sich auch noch über meinen Praktikumszeitraum hinausziehen wird (im positiven Sinne).
Allgemein habe ich große Lust, mich weiter für das Kollektiv zu engagieren solange ich in Wien lebe! Ich denke, dass solche Orte und Projekte wahnsinnig wichtig für ein gemeinschaftliches Zusammenleben in der Stadt sind. Bei Kaorle werden Dinge gerne einfach ausprobiert und geschaut, was dabei rauskommt, und die Baustelle wird bereits als Diskursraum gesehen, in dem sich alle einbringen können. Durch gemeinsame Besuche von Ausstellungen oder Vorträgen, zum Beispiel zum Thema Leerstand, oder Buch- oder Zeitschriftempfehlungen, konnte ich außerdem viel inspirierenden Input zu Fragen nach einer gerechteren und partizipativeren Stadt mitnehmen.
Da das Kollektiv sehr viel über Ehrenamt organisiert ist, gibt es keine festen Arbeitszeiten und es ist viel Eigeninitiative und Strukturierung gefragt. Ich habe gemerkt, dass es mir eine klarer vorgegebene Struktur manchmal etwas leichter gemacht hätte. Gleichzeitig konnte ich aber auch viel dazulernen über Selbstorganisation, und das ist denke ich ein nicht zu unterschätzender skill.
Ich denke, dass meine Erfahrungen im Praktikum auf jeden Fall wertvoll für mein geplantes Masterstudium (ich bleibe bei der Architektur) und zukünftige berufliche Praxis sind – aber auch schlichtweg schöne Erinnerungen. Ich kann es an alle weiterempfehlen, die Lust auf die angesprochenen Themen sowie ein ur nettes und aufgeschlossenes Team haben!
