Kaorle Figur

Selbstwirksamkeit in der Stadt

Interview von Laura May mit Timo Bogataj
Laura May · 2024-11-01
Titelbild für Selbstwirksamkeit in der Stadt

L: Du bist angehender Architekt und prägst seit der Gründung 2020 die Räume von Kollektiv Kaorle und dem Alsergarten. Wie unterscheidet sich eure Arbeit von klassischen profitorientierten Baustellen? T: Ich würde sagen, es ist immer wieder ein Lernen. Wir testen Methoden, sind immer wieder überfordert im Prozess und greifen auch auf professionelle Ratschläge und Know How zurück – ich glaube, am Ende des Tages zählt die große Eigenleistung. Es geht genau darum, dass man was lernt und sich gemeinsam etwas beibringt.

L: Diese Strategie verfolgt ihr von Anfang an? T: Das hat so vor anderthalb Jahren gestartet, da hatten wir einen Input bei der MA18 (Stadtentwicklung & Stadtplanung) und haben uns überlegt, wie eine Baustelle als Diskursraum aussehen kann und was der Mehrwert davon ist. Für uns war immer wichtig, schon ganz am Anfang mit partizipativen Formaten Ideen einzuholen und die Leute mit in die Umsetzung zu nehmen, damit sie als aufsuchende Öffentlichkeit auch die Möglichkeit haben, sich in einem gewissen Rahmen ein Stück Stadt anzueignen.

RENOVIERUNG SCHMALZHOFGASSE

L: Welche Herausforderungen hat eine Bauplanung ohne klare Regeln? T: Es ist natürlich eine Gratwanderung zwischen der Organisation einer Gruppe, die gemeinsam etwas leistet und erschafft, und der verlässlichen Planung. Man darf nicht vergessen, die Leute setzen eine unglaubliche Menge an Energie für nichts ein – als ehrenamtliche Tätigkeit. Als wir den Ort hier in Ottakring übernommen haben, gab es eine sehr aktive Bauphase – da haben wir uns das erste Mal ein Rahmenwerk zur Strukturierung zusammengelegt. Wir hatten früh die Idee, dass man einwöchige Bauleitungen vergibt und einen Leitfaden zu Sachen wie: “Aktivierung durch Social Media oder Mundpropaganda”, “Einführung in die Maschinen” oder auch “gemeinsam Essen”. Es war für uns wichtig zu lernen, dass man nicht erwarten kann, dass nach einem Aufruf gleich zehn professionelle Bauarbeiter an deiner Arbeitsstätte eintreffen und man startet los (lacht).

L: Die Architekt:innen in der Kernorga sind Du und Agi. Wie ist der Ablauf zwischen Planung und Ausführung? Sagt ihr einfach “macht!” oder gibts da eine Diskussion. In kommerzieller Planung sind in diesem Prozess mit Architekturbüros, Bauträgern und Handwerkern ja mehrere Firmen involviert. T: Ja, das ist schon ein diffiziler Prozess. Wenn man ein Objekt von der Konzeption bis zur finalen Umsetzung begleitet, ist das ein sehr langer Prozess. Zu unserer groben Struktur: Es gibt immer eine Ideenfindung, dann Prototyping - also das Bauen eines Teils des Objekts im 1:1 Modell, um im richtigen Maß zu experimentieren. Das ist eine gute Möglichkeit den Leuten auch in der Konkretisierung der Vorhaben mehr Teilhabe zu ermöglichen und ihnen die Baustelle sozusagen in die Hand zu geben.

L: Freiwillige über all diese Phasen bei Stange zu halten ist sicher nicht ganz leicht? T: Es ist schon in einzelne Schritte aufzudröseln, weil die Aufmerksamkeitsspanne, beziehungsweise die Dauer, die man Leute ehrenamtlich binden kann, meistens eher kurz ist – sie beschränkt sich auf einen Nachmittag (lacht).

L: Allein mit unverbindlicher und unbezahlter Arbeitskraft lassen sich größere Projekte also schlecht realisieren? T: Unsere Erwartungshaltung und das Gefälle zwischen Projektdruck von unserer Seite und selbstorganisierter, sehr freiwilliger Arbeit haben uns immer wieder viele Nerven gekostet. Offen gestaltete Förderanträge sind nicht gerne gesehen. Deshalb muss man einen Mittelweg finden zwischen der Erfüllung eines Auftrags und einer variablen Arbeitskraft. Komplett darauf bauen kann man nicht. Es ist eine schöne Ergänzung, eine schöne Sache für alle, die sich daran beteiligen, aber manchmal eben schwierig, wenn der Zeitplan drückt.

L: Hätte ich auf eurer Baustelle ohne Vorwissen einen Mehrwert? Freut ihr euch, wenn jemand spontan aufkreuzt und helfen will? T: Auf jeden Fall. Wir versuchen auch gezielt einen Safespace für Flinta-Personen zu schaffen und Leute gezielt abzuholen. Und es ist ja so, dass es auch auf den professionellen Baustellen immer Zuarbeiter gibt. Das ist relativ normal. Es gibt den Polier, der hat den Überblick - und dann gibts von den einzelnen Gewerken die Chef. Der Maurermeister hat dann seine fünf Leute, die ausführen. Gewisse Tätigkeiten sind immer recht niederschwellig und eben auch der Rahmen etwas zu lernen.

FLINTA LIDO UMBAU OTTAKRING

L: Weil du gerade Flinta angesprochen hast. Oft geht es doch einfach ums Ernstgenommen werden. Also als Flinta-Person nicht an einen Ort zu kommen, an dem drei Cis-Männer rumstehen, die Technik und Handwerk machen und man traut sich gar nicht erst rein. T: Weil eben so viele Dudes glauben, sie sind mit Weisheit gesegnet. Und in Wirklichkeit ist es ein Mansplaining-Gelaber, wenn man sieht, wie die Arbeit dann wirklich gemacht wird. Man muss allerdings sagen, beim Lido-Umbau hatten wir oft sogar mehr weiblich gelesene Personen auf der Baustelle. Es funktioniert – das sind halt die Leute, die weniger Labern und gute Arbeit machen.

L: Was ist das Politische des gemeinschaftlichen Bauens? T: Der Moment des Skillsharings ist ein riesiger Mehrwert. Das ist etwas, was sich schon ganz am Anfang in der Entstehungsgeschichte von Kaorle manifestiert. Dass man sozusagen Selbstwirksamkeit möglich macht und aktiv die Stadt mitgestalten kann, wenn man penetrant genug ist.

L: Kommen Leute zufällig auf eure Baustellen? T: Je nachdem, ob man jetzt im öffentlichen Raum agiert oder eben hier in der Erdgeschosszone in Ottakring, ist das unterschiedlich zu betrachten. Ich würde mich in diesem Fall auf den öffentlichen Raum beziehen, was dann eher das “Paradiesl” im Alsergarten wäre. Das war quasi eine performative Baustelle. Die Leute sehen im Vorbeigehen: da arbeitet nicht Strabag oder Porr, sondern da gestaltete eine Nachbarschaftsinitiative mal einen Platz um. Das ist einfach niederschwelliger. Das Spannende am öffentlichen Raum ist, dass man als Mensch, der in einer Stadt lebt, meistens passiver Teilnehmer daran ist, was im öffentlichen Raum geschieht und wie er gestaltet und bespielt wird. Wir sehen es als Versäumnis, dass man keine Räume schafft, in denen die lokale Nachbarschaft aktiv mitgestalten kann. Dadurch könnten Räumen mit Identität aufgeladen werden und im Rahmen der Urban Commons* auch mit verwaltet werden.

L: Was sind Urban Commons? T: Das ist eine alternative Wirtschaftsform. Die Idee ist, von einer rein kapitalistischen und profitgesteuerten Wirtschaftsform wegzugehen und als Gruppe Ressourcen zu teilen. Das ist ein Aspekt der Urban-Commons-Thematik, der für uns immer interessant ist. Da gehts im Endeffekt darum, dass in der Vergangenheit, etwa in Zünften, kollektiv Güter verwaltet wurden. Auch gewisse Tätigkeiten in Dorfgemeinschaften wurden aufgeteilt. Mit der Modernisierung wurde das extrem individualisiert. Alles kostet jetzt Geld. Leute vergeben Aufträge und haben Dinge dann nicht mehr selbst in der Hand.

UMBAU:SCHMALZHOFGASSE X CARLA NORD

L: Die Stadt als Allgemeingut quasi? T: Genau. Räume entwickeln, um lokale Ressourcen in einer Gruppe zu teilen, anstatt immer auf Angebote auf dem freien Markt zurückgreifen zu müssen. Zu dieser alternativen Wirtschaftsform gibt es gerade viel Diskurs. Gerade bei der Umgestaltung von öffentlichen Flächen ist der riesige Mehrwert da, dass Bürger:innen eigeninitiativ Räume pflegen, sich darum kümmern, sie bespielen und durch Kulturprogramm Mehrwert für die Nachbarschaft schaffen. Durch Gemeinschaft werden die Flächen auch zu sicheren Räumen. Auf der anderen Seite ist das ein Konflikt, weil man sich ein Stück Raum aneignet und besetzt und damit anderen Leuten ein Stück Stadt nimmt. Obwohl es ein öffentlicher Raum bleibt, wird er mit Ideen gefüllt.

L: Stress mit der Nachbarschaft? T: Die Initialidee des Paradiesls ist es, zu analysieren: Was funktioniert? Was wird verändert? Wo gibt es Vandalismus? Wo wird der Raum weitergesponnen? Das ist per se nichts Negatives. Es gibt andere Interessen im öffentlichen Raum. Und manchmal ist das eben Zerstörung. Das ist auch ok. Im Grunde testet das ein Stück weit unser Vorhaben.

L: Das “Paradiesl” hält Zerstörung aus? T: Solange man dran ist und sich um diesen Ort kümmert, ist das kein großes Problem. Wir setzen das einfach wieder in Stand. Oder bauen auch Anregungen ein. Vandalismus hat es im Paradiesl vor Kurzem das erste Mal gegeben. Das ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass das neu ist. Da ist jemand einmal durchgemoscht und hat überall etwas ausgerissen. War dann auch an einem Nachmittag wieder alles eingehängt. Das ist das Coole an dieser modularen Struktur, die ist sehr robust und so konzipiert, dass sie im öffentlichen Raum halbwegs bestehen kann.

PARADIESL AM ALSERGARTEN

L: Ihr kauft nicht alles neu, sondern versucht zu reparieren, zu recyceln und Zweck zu entfremden. Woher bekommt ihr eure Materialien? T: In den letzten zwei Jahren haben wir uns mit unterschiedlichen kreislauffähigen Re-use-Unternehmen vernetzt. Vor allem mit den zwei größten in Wien: Material-Nomaden und Baukarusell. Ich bin vor sechs Jahren durch eine Studienkollegin darauf gestoßen, dass man aktiv Bauteile aus Abrissgebäuden oder bestehenden Gebäuden ausbauen und wieder neu in den Zyklus einsetzen kann. Damals habe ich mitbekommen, dass sie die Züge der ÖBB zerlegen. Ein sehr nostalgischer Faktor für mich.

L: Und Elemente aus ÖBB-Zügen finden sich heute in euren Projekten wieder? T: Züge sind quasi ein El Dorado der Möglichkeiten. Es sind sehr repetitive Elemente in den Zügen, die man gut auch in größeren Mengen entnehmen kann. Das macht Planung und Rückbau wesentlich einfacher. Bei den ÖBB 420er Zügen, das sind die alten S-Bahnen, entnehmen wir vor allem die magentafarbenen Gestänge, also die Handgriffe, an denen man sich festhält. Gerade für unseren Auftrag im öffentlichen Raum, bringen die entsprechende Materialbeschaffenheit und Dauerhaftigkeit mit. Ein Zug ist ja ein Innenraum, viele Materialien taugen nicht für den Alsergarten. Wir haben uns auf die Gestänge fokussiert, die gibts in verschiedenen Formen.

PARADIESL X KAORLE

L: Sitzmöglichkeiten und Mistkübel der ÖBB habe ich im Kaorle auch schon entdeckt. T: Ja sicher. Die klassische Vierergarnitur mit Beistelltischerln und Riemen oben zum Festhalten sind auch hier gelandet. Es ist ein Traum. Ich bin selbst mein halbes Leben von Niederösterreich nach Wien gependelt und habe quasi täglich auf diesen Garnituren geranzt. Es ist eine wahre Genugtuung, das jetzt im eigenen Haus zu haben und diese Erfahrung in anderem Kontext wiederzubeleben.

L: Gerüstkonstruktionen baut ihr auch für eine Bühne des Blechsonne-Festivals. T: Ja, genau. Die Kooperation mit der Blechsonne wollte ich auch erwähnen. Die letzte Bühne war unser größtes Hochbauprojekt bisher. Bei der Gerüststruktur haben wir mit Modulgerüsten gearbeitet. Da haben wir auf jeden Fall für uns neue Wege bestritten und uns cooles neues Knowhow angeeignet. Das wird sicher weiter ein tolles Projektformat sein, was wir da mit der Blechsonne teilen.

PLATEAU STAGE BLECHSONNE 2023