Kaorle Figur

Spukt es hier?

Eine ganz kurze und unvollständige Geschichte der Kämpfe um soziokulturelle Freiräume und das Recht auf Stadt in Wien im 20. Jahrhundert und was wir aus deren Geistern lernen können
Simon Wesenauer (@donaupirat) · 2025-07-03
Titelbild für Spukt es hier?

Simon Wesenauer lebt, studiert und arbeitet in Wien und setzt sich hier im Rahmen seines Studiums der Raumplanung- und Raumordnung sowie auch in seiner Freizeit durch Mitwirken in verschiedenen Initiativen und Projekten schon länger mit dem Thema der Raumaneignung für emanzipatorische Praxen in der Stadt auseinander. In seiner Diplomarbeit befasst er sich aktuell mit der nach wie vor drängenden Frage nach der Schaffung und Verstetigung von temporären soziokulturellen Räumen. Manchmal dokumentiert er städtische Räume und anderes auch fotografisch.

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Wien hat – ob man es glaubt oder nicht – eine lange Geschichte von Kämpfen um selbstverwaltete, soziokulturelle Freiräume, in denen alternative Vorstellungen von Stadt, Gesellschaft und Zusammenleben zumindest zeitweise umgesetzt wurden und der hegemonialen Vorstellung, wie Stadt zu funktionieren hat, widersprochen wurde – oder es zumindest versucht wurde. Diese Orte sollten als Experimentierfelder dienen und – gerade im Kontext zunehmender kapitalistischen Einhegungen im urbanen Raum – Räume sein, an denen emanzipatorische, auch antikapitalistische Praxen im Sinne eines Recht auf Stadt, wie es Lefebvre1 formuliert hat, erprobt, erlernt und realisiert werden konnten. Diese sozio-kulturellen Orte waren somit sowohl Produkt als auch Schauplatz alternativer Formen der Produktion von Raum und konnten somit Horte einer gelebten Andersartigkeit sein (vgl. Lefebvre 1991 und 2016; Lees 2004; Harvey 2012).

Wiens Stadtentwicklung seit der Zwischenkriegszeit ist geprägt von einer sehr erfolgreichen sozialdemokratisch geprägten Stadtplanungspolitik, die auch heute noch vielerorts als Vorbild genannt wird, wenn es um sozialen Wohnungsbau, soziale Infrastrukturen und Co. geht. Historisch – und teilweise bis heute – gibt es ein durchaus als paternalistisch zu bezeichnendes Verständnis von Stadtplanungspolitik, deren Wohlfahrtsplanung vor allem im 20. Jahrhundert eine hohe Bereitschaft für Disziplin und Unterordnung einforderte. Dies stellte Initiativen und Gruppen, die Selbstorganisation, radikaldemokratische Ansätze und radikalere Formen von Partizipation in den Fokus rückten und dafür Freiräume sichern wollten, vor große Herausforderungen, da die Stadtverwaltung solchen Bestrebungen zumindest skeptisch bis gänzlich ablehnend gegenüber stand (vgl. Nußbaumer 2014 und Heindl 2022)2.

Das Problem der Suche nach Freiraum für alternative Stadtpraxen und Gegenkultur (oder auch Subkultur bzw. Freie Szene – die Begriffe sind zwar nicht synonym zu verwenden, aber bezeichnen in diesem Kontext unterschiedliche Spielarten dessen, worauf hier Bezug genommen wird) ist nicht nur durch Planungskultur oder stadtpolitische Praxis zu erklären sondern, wurde ab den 1980er-Jahren auch durch Neoliberalisierungstendenzen in der Stadtplanung und die zunehmende Finanzialisierung von Wohnraum und Immobilienmarkt verschärft. Dies wurde zwar in Wien durch seine im Vergleich zu anderen Städten andere Planungskultur teilweise abgefedert, jedoch sind – nicht zuletzt durch ein nicht zu unterschätzendes Stadtwachstum welches die Stadt dem Fall des Eisernen Vorhangs und vor Allem aber auch seit der Jahrtausendwende wieder zu einer 2-Millionen-Einwohner*innenmetropole gemacht hat – der private Wohnungs- und Immobilienmarkt trotzdem Spielfeld von Finanzialisierungsbestrebungen und damit von Spekulation, Leerstand und generell Schauplatz wieder stärker aufflammender Kämpfe um Wohn- und Freiraum in der Stadt. Im Kontext dieser Entwicklungen hatten und haben es Initiativen in Wien umso schwerer, Räume zu finden und sind oft auf das vielfach als Lösung beschworene Instrument der Zwischennutzung angewiesen oder haben dieses längst als Teil ihrer Praxis aufgenommen. Generell ist zu beobachten, dass es im Laufe der Zeit einen Wandel in der Kultur- und Stadtplanungspolitik gab, die vermehrt darauf abzielte, alternative Kulturverständnisse und somit gegenkulturelle/subkulturelle Projekte mittels Kooperation in geregelte Bahnen zu lenken. Aus diesem Ansatz entstanden beispielsweise das WUK, das Amerlinghaus oder auch das später geräumte Kultur- und Kommunikationszentrum Gassergasse (GaGa) (vgl. Nußbaumer 2014).

Im Laufe der Jahrzehnte hat es in Wien eine Reihe von Versuchen gegeben, sich durch Besetzung, Verhandlung und andere Strategien Freiraum für unterschiedlichste Zwecke anzueignen. Manche waren erfolgreich, andere verschwanden nach kurzer Zeit wieder, aber gemein war Ihnen einer – salopp gesagt – langweiligen Stadtkultur sowie einer von paternalistischer Wohlfahrtspolitik geprägten Planungspraxis entgegenwirken zu wollen, die nicht selten einem josephinischen Motto von „Alles für das Volk und nichts durch das Volk.“ folgte, sowie der später auch das neoliberale Credo „TINA“ (“There Is No Alternative” – eine ideologische Kampfparole, die von einer Godmother des Neoliberalismus, Margaret Thatcher, geprägt wurde) inherent wurde (vgl. auch Fisher 2009 oder Heindl 2022). Dieser Beitrag soll nun als kleine Einführung und unvollständiger, historischer Überblick dienen, die Lesende dazu ermutigen sollen sich mehr mit diesen verschwundenen Freiräumen sowie deren Geistern im Sinne von Mark Fishers “Ghosts”3 – und auch den Initiativen, die zwar erfolgreich waren, deren Mauern, aber noch von den Geistern ursprünglicher Ideale durchzogen werden, auseinanderzusetzen und von ihnen zu lernen. Zu diesem Zwecke möchte ich anregen, Bücher, Texte und Medien, die am Ende des Beitrags als Quellen zu finden sind und auf denen dieser Text basiert, zu durchstöbern und auch den anderen Links zu folgen.

Das erste Ausrufezeichen im Kampf um Freiraum für soziokulturelle Freiräume wurde 1975 durch die Besetzung des Amerlinghauses, das bis heute als Kulturzentrum fungiert. Die Besetzung des Amerlinghauses geschah nicht im luftleeren Raum, sondern war Folge eines jahrelangen Protests von Anrainer*innen, Künstler*innen, Aktivist*innen gegen die vorherrschende stadtplanerische Ideologie der funktionalen Stadt, die gemäß einer fordistisch geprägten Vorstellung die alte, ineffiziente, dichte und multifunktionale von einer autogerechten und funktional getrennten Stadt durch radikale Stadtsanierung ersetzt werden sollte. Schon in den 60er-Jahren gab es aus unterschiedlichen Ecken von Politik und Zivilgesellschaft Kritik an diesem Modell der funktionalen Stadtplanung, die jedoch bei der Stadtverwaltung keine Beachtung fand. Im Zuge der Pläne zur Sanierung (aka dem Abriss) des Spittelbergs im Wiener 8. Bezirk drohte einerseits die Zerstörung des Charakter dieses damals noch nicht so hippen und bürgerlichen Viertels und andererseits vor Allem auch die Verdrängung der ursprünglichen Bewohner*innen des Viertels, die hauptsächlich der Arbeiter*innenschaft entstammten. Im Kontext dieser Vorzeichen wurde dann im Rahmen der Wiener Festwochen, die 1975 im Amerlinghaus stattfanden, ab dem dritten Tag einer viertägigen Veranstaltung die Besetzung ausgerufen und begonnen, ein selbstverwaltetes Kultur- und Kommunikationszentrum einzurichten. Nach langen Verhandlungen, kurzer Aufgabe des Hauses, einer Renovierung durch einen gemeinnützigen Bauträger und weiteren Verhandlungen wurde das Amerlinghaus schließlich 1978 als selbstverwaltetes und von der Gemeinde Wien voll subventioniertes Kulturzentrum eröffnet. Seitdem bietet das Amerlinghaus Raum für verschiedenste Initiativen, war mehrmals in seiner Existenz bedroht und auch der selbstverwaltete Charakter hat sich etwas gewandelt.

Was im Amerlinghaus passierte, sollte ein Vorgeschmack auf die Geschehnisse des nächsten Jahres 1976 sein – die Arenabesetzung, aus der schließlich auch die heutige Arena Wien hervorging. Im Zuge der alternativen Wiener Festwochen, in deren Rahmen auch die Besetzung des Amerlinghauses stattgefunden hatte, haben sich nach der letzten Vorstellung der unter dem Namen Arena 76 stattfindenden Festwochen, nach vorangegangener Mobilisierung bei Straßenfesten und via Telefonketten, rund 700 Menschen eingefunden, die das Gebäude im Anschluss besetzten. In den folgenden 104 Tagen, die die Besetzung dauerte versuchten die Besetzer*innen Ihren Forderungskatalog, der folgende vier Punkte umfasste – 1. Kein Abbruch des Auslandsschlachtshofs; 2. Schaffung eines ganzjährigen Kulturzentrums auf dem Gelände; 3. Selbstverwaltung dieses Kulturzentrums; 3. Bezahlung der Betriebskosten durch die Stadt – in Verhandlungen mit der Stadt durchzusetzen. Parallel dazu wurden in der Arena 76 selbstverwaltete Strukturen aufgebaut und der Ort als soziokultureller Freiraum für progressive, emanzipatorische und alternative Lebensentwürfe und Stadtpraxen genutzt. Es gab Raum für Konzerte, Theatervorstellungen, Diskussionen, soziale Infrastrukturen – wie beispielsweise eine KüFa (“Küche für Alle”), ein selbstorganisiertes Jugendzentrum, ein Haus für Kinder und das Soldatenhaus (quasi eine Deserteursberatung für Menschen, die den Wehrdienst verweigern wollten) – politische Gruppen – wie beispielsweise die feministische “Arena-Frauengruppe” – und Ateliers, Werkstätten, Tonstudios, Druckereien, eine Filmgruppe4 und noch viel mehr (vgl. Nußbaumer 2014).

Leider war das Experiment der Arena 76 nicht von Dauer. Eine ablehnende und wenig kooperativen Haltung der Stadtverwaltung sowie der neuen Eigentümer waren in Kombination mit einer sich wandelnden öffentlichen Meinung, die anfangs eher unterstützend war, aber mit zunehmend reißerischen Berichten über unsittliche und kriminelle Vorfälle in der Arena kippte, eine schlechte Voraussetzung für eine dauerhafte Nutzung. Im Zuge von Verhandlungen, die äußerst kompliziert waren und von Konflikten zwischen Stadtverwaltung und Besetzer*innen sowie auch internen Streitereien zwischen kooperationswilligen und radikaleren Teilen der Arena 76-Bewegung (die keineswegs eine homogene Gruppe war) geprägt waren, wurde schließlich von einem Teil der Gruppe ein Angebot der Stadtverwaltung in den wenige hundert Meter entfernten, viel kleineren Inlandsschlachthof umzuziehen, angenommen. Dort ist die Arena Wien bis heute beheimatet und immer noch eines der wichtigsten Zentren für alternative Kultur in Wien, wenn auch etwas entfernt von der ursprünglich großen emanzipatorischen Idee der Arena 76, deren Geister jedoch nach wie vor in St. Marx und in der heutigen Arena spuken.

Die besetzte Arena © Foto: Heinz Riedler, Sammlung Wien Museum

Die Hausbestzer*innenbewegung, die Städte weltweit ab den späten 70er Jahren erfasste, kam in Wien verhältnismäßig spät an. Ausgehend von ehemaligen Arenabestzer*innen und Aktivisti aus der Burggarten-Bewegung, die sich gegen die konservativen Verhaltensnormen im öffentlichen Raum und für mehr Freiheit für junge Menschen sowie deren alternative Lebensformen engagierten, initiierten in der Windmühlgasse 24 eine erste kurzfristige Hausbesetzung. Federführend war hier die Gruppe Verein für Humanes Wohnen, die sich Besetzer*innebewegungen aus Berlin und Zürich zum Vorbild nahmen. Zur selben Zeit wurde als Reaktion auf eine Großdemonstration von Aktivisti am 1. März 1981 und eine daraus resultierende Angst vor ähnlichen Ausschreitungen wie bei den Jugendunruhen in der Schweiz 1980 eine Immobilie in der Gassergasse einer Initiative übergeben, wo daraufhin das autonome Kultur- und Kommunikationszentrum Gassergasse eröffnet und Wohnraum sowie Raum für Veranstaltungen5, Initiativen und generell emanzipatorische Praxen geschaffen wurde. Die Gegner der GaGa setzten sich schließlich 1983 durch und das Zentrum wurde von der Polizei geräumt. Auch andere im Ersten erfolgreiche Hausbesetzungen und autonome sowie sozio-kulturelle Freiräume der 80er- und 90er-Jahre, wie beispielsweise die Häuser der Aegidigasse 13/Spalowskygasse 3 oder auch das autonome Stadtteilzentrum Rotstilzchen auf der Margaretenstraße, haben nicht bis heute überdauert sondern wurden geräumt.

Anders als Projekte wie die Rosa Lila Villa und das WUK, die ihre Ursprünge ebenfalls in dieser Zeit haben, die bis heute noch, in sehr unterschiedlicher Art und Weise, ihren Charakter als Orte gegenkultureller und alternativer Stadtpraxis behalten haben. Etwas später gegründet wurde das TÜWI, das ebenso bis heute, wenn auch in architektonisch anderem Gewand, ein wichtiger sozio-kultureller Ort ist oder auch das ursprüngliche Flex.

Die Stadt Wien hat, wie bereits einleitend angeschnitten, ihre Planungspraxis im Laufe der Zeit verändert und es wurde mehr und mehr versucht, auf kooperative Konzepte zu setzen – Partizipation, Mitbestimmung und Co wurden immer größer geschrieben und in unterschiedlichem Ausmaß zur verstärkten demokratischen Legitimierung von Stadtentwicklungsprozessen genutzt. Auch im Hinblick auf subkulturelle Freiräume wurde – begonnen bei Amerlinghaus, WUK und der Arena Wien bis zu Zwischennutzungen und selbst gegründeten Kulturankerzentren heute – verstärkt auf das Verfügbarmachen von Räumen seitens der Gemeinde Wien fokussiert, wobei hier Selbstverwaltung und die Frage des Verhältnisses von Stadtverwaltung zu den jeweiligen Initiativen immer ein gewisses Spannungsfeld und Spektrum darstellt. Besonders das Instrument der Prekariumsverträge und daraus resultierend das der Zwischennutzungen, wurde seit den späten 2010er-Jahren die Methode der Wahl, um an Raum zu kommen. Dadurch wurde in den letzten zwei Jahrzehnten zusehends mehr Raum für Soziokultur und die Freie Szene ermöglicht und viele Leerstände belebt und bespielt, wobei diese Strategie auf vielen Ebenen ebenso Probleme und Herausforderungen mit sich bringt, die an anderer Stelle bereits ausführlich erörtert wurden (vgl. IG Kultur 2014 oder Pfander 2024) und auch nachwievor Gegenstand von Forschung und Diskurs ist. Im Anbetracht dieser Geister von ehemaligen Freiräumen für alternativen Stadtpraxen, die hier in diesem Beitrag geschildert wurden, reihen sich nun auch seit den 2000ern die Geister von unzähligen temporären Zwischennutzungen ein, die dann aber glücklicherweise im Idealfall neue Zuhause finden – noch gibt es genug zugänglichen und adäquaten Leerstand. So spukt in der Schmalzhofgasse 5 eventuell nach wie vor der Geist des Kollektiv Kaorle, der teilweise aber glücklicherweise am Lido in Ottakring ein neues, vermutlich ebenso temporäres Zuhause gefunden hat. Anderen, wie der Zwischennutzung in der Nordbahnhalle, ereilte leider ein weniger rosiges Schicksal und wieder andere Freiräume wie in St. Marx für Alle in St. Marx, das Kulturzentrum Althangrund Für Alle oder auch das Kunst- und Kulturzentrum Semmelweisklinik stehen teilweise noch immer vor einer ungewissen Zukunft6. Deshalb erscheint es immer noch unbedingt notwendig sich für die Existenz von solchen Räumen für unterschiedliche emanzipatorische und alternative Stadtpraxen, die leistbar sind, niederschwellig zugänglich sind, im Sinne eines Recht auf Stadts einen Fokus auf Selbstverwaltung legen und somit auch einen Teil zur radikalen Demokratisierung unserer Stadtgesellschaft beitragen – was besonders heute im Kontext von Krisen von Demokratie, Partizipation und einer weltweit auf dem Vormarsch befindlichen autoritären Politikverständnisses umso wichtiger erscheint – einzusetzen. So gibt es zwar Projekte, für die das Instrument der Zwischennutzung absolut sinnvoll erscheint, und die explizit mit dieser temporären Komponente agieren, jedoch ist es besonders für eben jene soziokulturellen Räume, die gemeinsam mit der Nachbar*innenschaft wirksam werden möchten und dauerhafte, solidarische Netzwerke bilden wollen, höchst relevant diese Freiräume auf Dauer zu sichern7.

Anmerkungen

  1. Der französische Soziologie, Stadtforscher, Philosoph und etc. Henri Lefebvre begreift in seinem Werk “The Production of Space” Raum – sprich auch die Stadt bestehend aus Häusern, Parks, Plätzen, generell öffentlichen Räumen usw. – als nicht einfach gegeben, sondern als durch soziale Praktiken und Relationen etc. geschaffen aka produziert.

  2. Wobei hier unbedingt anzumerken ist, dass das sozialdemokratische Wien trotzdem auch – vor Allem zur Zeit des berühmten Roten Wiens, aber auch später – um kulturelle Grundversorgung, Bildung und generell das Zur-Verfügung-Stellen von sozialer und kultureller Infrastruktur bemüht war. Von Volksheimen über Volkshochschulen bis hin zu Häusern der Begegnung und anderen gemeinschaftlichen Einrichtungen in Gemeindebauten wurde Versucht die sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung und vor Allem der Arbeiter*innenschaft zu bedienen. Siehe hierzu den Beitrag “Demokratische Räume: Der Versuch einer Annäherung” von Christoph Laimer aus der Derivé N’81 aus 2020 (https://derive.at/texte/demokratische-raeume/) und auch den Beitrag “Bauten für die Volksbildung? Volkshochschulen, Volksheime und Häuser der Begegnung in Wien” von Stephan Gangl aus 2012, auf den er sich bezieht.

  3. In seinem Konzept von Hauntology, das dieser lose auf Jacques Derrida’s Werk basiert, beschreibt Mark Fisher wie unsere Gegenwartskultur von nicht erfüllten Emanzipationsversprechen des 20. Jahrhunderts beeinflusst wird bzw. wie – kulturpessimistisch gedacht – diese “lost futures” von Utopien, die immer nur fast, aber nie ganz erreicht wurden (in unserem Fall hier beispielsweise zu erkämpfende Freiräume und alternative Formen von Stadtleben), heute noch als Geister in der Stadtgesellschaft und an diesen Orten spuken. Sieht Fisher diese Geister und “lost futures” eher in einem negativen, wie gesagt kulturpessimistischen, Licht so möchte ich an dieser Stelle argumentieren, dass es potenziale hat diese Geister zu begrüßen und von ihnen und den nicht realisierten Utopien zu lernen, um die “lost futures” eventuell doch noch in anderer Form zu erreichen.

  4. Die Filmgruppe der Arena 76 hat auch ein sehenswertes Zeitdokument geschaffen, das gerade auch im Hinblick auf heutige Auseinandersetzungen um die Freifläche in St. Marx (hierfür ganz aktuell: https://stmarx.wien) von besonderem Interesse sein kann. Zu sehen ist der Film hier https://www.ruthbeckermann.com/de/films/filmliste/arena-besetzt/ oder hier https://www.youtube.com/watch?v=hFh3y3dDlLs. Ansonsten gibt es dazu auch mehr an dieser Stelle: https://magazin.wienmuseum.at/zur-geschichte-der-arena-wien.

  5. Begleitet wurde diese Hochzeit der Kämpfe um Freiraum und der damit einhergehenden Hausbesetzungen auch von einem entsprechenden Soundtrack, den ich an der Stelle, falls noch nicht bekannt, nicht vorenthalten will. Der Punk-Sampler “Die tödliche Dosis” (https://www.youtube.com/watch?v=y0JYprOoUQQ&list=RDy0JYprOoUQQ&start_radio=1) wurde 1981 vom Label “Lustgewinn Schallplatten” released und verkörpert Energie und Radikalität der Szene.

  6. Schaut für aktuelle Kämpfe für Freiraum unbedingt in St. Marx (https://stmarx.wien/) und im Kulturzentrum 4lthangrund (https://4lthangrund.jetzt/) vorbei. Und sicher noch vielerorts mehr.

  7. Allen, die sich nun hoffentlich hoch motiviert und inspiriert tiefer mit der Geschichte von Selbstorganisation, Besetzung, und der Aneignung von Freiräumen für alternativen Stadtpraxen in Wien auseinandersetzen wollen, um daraus für die Praxis in Gegenwart und Zukunft zu lernen, lege ich folgende Bücher, Texte, Filme und Co ans Herz. Der Katalog zur Ausstellung “Besetzt! Kampf um Freiräume seit den 70ern im Wien Museum” (2014) stellt ein ausführliches Kompendium von Initiativen bis in die frühen 2010er Jahre dar. Gemeinsam mit den beiden Büchern “Und wir bewegen uns doch: soziale Bewegungen in Österreich” (2004) (hier zum gratis Download: https://www.grundrisse.net/PDF/Foltin_und%20wir%20bewegen%20uns%20doch.pdf) und “Und wir bewegen uns noch: zur jüngeren Geschichte sozialer Bewegungen in Österreich” (2014) von Robert Foltin stellt dies die Basis dieses Textes dar. Auch die Studie der IG Kultur “Wer geht Leer aus?? Plädoyer für eine andere Leerstandspolitik” aus 2014 hat noch ausreichend Aktualität und ist über deren Website gratis herunterzuladen (nämlich hier: https://igkulturwien.net/projekte/freiraum-leerstand/buch-wer-geht-leer-aus). Es gibt natürlich noch viel mehr – Allem voran die Plattformen der Initiativen selbst und auch von intermediären Akteuren wie den “Kreativen Räumen”, wo Infos zu aktuellen Zwischennutzungen zu finden sind. Ganz aktuell bietet auch die Diplomarbeit “Freie Kultur braucht Raum!” von Noah Pfander aus 2024 einen guten Überblick über einige Projekte, deren Tätigkeiten und Herausforderungen denen sie gegenüber stehen.

Quellen

Althangrund Für Alle. (2025). 4lthangrund – Raum & Initiative für Kunst, Kultur, Sozial- und Wohnraum für alle. https://4lthangrund.jetzt/

Fisher, M. (2009). Capitalist Realism: Is There No Alternative? Zero Books.

Foltin, R. (2004). Und wir bewegen uns doch: soziale Bewegungen in Österreich. Edition Grundrisse.

Foltin, R. (2011). Und wir bewegen uns noch: zur jüngeren Geschichte sozialer Bewegungen in Österreich. Mandelbaum.

Foltin, R. (2014). Squatting and Autonomous Action in Vienna, 1976–2012. In The city is ours: squatting and autonomous movements in Europe from the 1970s to the present. PM Press.

Ganglbauer, S. (2012). Bauten für die Volksbildung? Volkshochschulen, Volksheime und Häuser der Begegnung in Wien. Spurensuche. Zeitschrift für Geschichte der Erwachsenenbildung und Wissenschaftspopularisierung, 1–4, 192–228.

Harvey, D. (2021). Rebellische Städte: vom Recht auf Stadt zur urbanen Revolution (Y. Dinçer, Übers.; Deutsche Erstausgabe, 5. Auflage). Suhrkamp.

Heindl, G. (2022). Stadtkonflikte: radikale Demokratie in Architektur und Stadtplanung (3., überarbeitete Auflage). mandelbaum verlag.

Hejda, W., & Interessengemeinschaft Kultur Wien (Hrsg.). (2014). Wer geht leer aus? Plädoyer für eine andere Leerstandspolitik. ed. mono/monochrom.

IG Nordbahnhalle. (2019). SOS Nordbahnhalle. IG Nordbahnhalle. https://ig-nordbahnhalle.org/

Laimer, C. (2020, Okt-Dez). Demokratische Räume - Versuch einer Annäherung. Derivé, N’81, 4–6. https://derive.at/texte/demokratische-raeume/\#fnref3

Lees, L. (2004). The Emancipatory City?: Paradoxes and Possibilities. SAGE Publications Ltd. https://doi.org/10.4135/9781446221365

Lefebvre, H. (1991). The production of space. Blackwell.

Lefebvre, H. (2016). Das Recht auf Stadt (B. Althaler, Übers.; Deutsche Erstausgabe). Edition Nautilus.

Nußbaumer, M., Schwarz, W. M., & Wien Museum Karlsplatz (Hrsg.). (2012). Besetzt! Kampf um Freiräume seit den 70ern ; [381. Sonderausstellung des Wien Museums, Wien Museum Karlsplatz, 12. April 2012 bis 12. August 2012]. Czernin.

Pfander, N. E. (2024). Freie Kultur braucht Raum! Eine Fallstudie zu Raumaneignungen der Freien Szene in der Stadt Wien [Thesis, Technische Universität Wien]. https://doi.org/10.34726/hss.2024.112386

St. Marx Für Alle. (2025). Nein zur Halle! — St. Marx für Alle! https://stmarx.wien/

Abbildungen

Abb 1. & Abb 2.: https://www.oepb.at/allerlei/besetzt-arena-st-marx-1976.html